Du sein statt da sein

Eine tantrische Einladung, zu dir selbst und zu deiner Sexualität nach Hause zu kommen

Es gab Zeiten, da funktionierte ich wie eine perfekt geölte Maschine. Ich stand auf, kochte Kaffee, erledigte, was zu tun war, sprach mit Menschen, lachte sogar gelegentlich, wenn es sein musste. Und doch spürte ich es: Etwas fehlte. Ich bin da, aber nicht wirklich da. Ein Teil von mir blieb stumm. Ein Teil von mir blieb zurück – irgendwo zwischen den Terminen, den Erwartungen und der inneren Abwesenheit. Vielleicht kennst du das auch von dir?

In unserer Gesellschaft geht es so oft um Präsenz, aber selten darum, wirklich in sich selbst präsent zu sein. Der tantrische Weg lädt dich ein, tiefer zu sinken. Nicht nur präsent zu sein, sondern wirklich du selbst zu sein. Nicht nur zu existieren, sondern vollständig zu leben – zu fühlen, zu atmen, zu lieben, mit jeder Faser deines Körpers, mit jedem Atemzug deiner Seele. Mit allem, was in diesem Moment da ist, mit allem, was du mitbringst. Einfach alles.

Du selbst zu sein bedeutet nicht, dass du dich einem idealisierten Bild davon anpassen musst, wer du sein solltest. Es bedeutet, dass du es wagst, in deinem Inneren, in deinem Körper, in deiner Wahrheit zu leben. Es ist eine subtile, aber radikale Entscheidung: nicht auf der Grundlage dessen zu leben, was die Welt von dir erwartet, sondern auf der Grundlage dessen, wer du im Wesentlichen bist. Wenn du wirklich du selbst bist, musst du nichts beweisen. Dann entsteht Nähe ganz natürlich – zu dir selbst, zu anderen, zum Leben.

Das ist jedoch nicht immer einfach. Denn wir haben uns daran gewöhnt, uns anzupassen, anstatt zu fühlen, anstatt wir selbst zu sein. Wir haben gelernt, dass Sicherheit in der Kontrolle liegt, dass Liebe verdient werden muss, dass Anerkennung auf Leistungen folgt. Alles sehr wertvolle Prinzipien. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wir strengen uns an. Wir opfern Dinge. Und irgendwo unter all diesen Schichten, unter all diesem „Tun“ flüstert das Leben: Komm zurück. Komm zurück zu deiner Sanftheit, deinem Atem, deinem Verlangen. Komm nach Hause zu deinem Herzen, deinem Körper, deiner Seele.

Tantra zeigt uns den Weg zurück. Nicht als etwas Erhabenes oder Ätherisches, sondern als etwas Konkretes und Irdisches. Nicht als große mystische Reise – sondern als die einfache Kunst, die eigene Präsenz wieder zu spüren. Nicht morgen, nicht auf einem Retreat, sondern hier, jetzt, im Rhythmus deines Tages.

Vielleicht beginnt es damit, wie du aufwachst. Nicht mit deinem Handy, sondern mit einer Hand auf deinem Bauch. Vielleicht in der Art, wie du deine Haut beim Duschen berührst – nicht hastig, sondern liebevoll. Vielleicht im Kontakt mit einer anderen Person – nicht mit dem Kopf bei der nächsten Antwort, sondern mit dem Herzen im Moment.

Auf diese Weise wird dein tägliches Leben zu einem Ritual. Und deine Präsenz zu einer stillen Einladung an das Leben, dich tiefer zu berühren.

Und wenn du auf diese Weise in deinem täglichen Leben präsent bist, verändert sich auch deine Sexualität. Sie wird weicher, tiefer, echter – nicht länger eine Performance oder ein Bedürfnis, etwas zu erreichen, sondern ein lebendiges Wechselspiel aus Hingabe und Verbindung. Intimität wird dann nicht zu einem zweckgerichteten Spiel, sondern zu einem Tanz zwischen zwei Seelen, die sich nicht verlieren, sondern bei sich zu Hause bleiben, während sie sich begegnen.

Bei der klassischen Sexualität berühren sich zwei Körper. Bei der tantrischen Sexualität berühren sich zwei Bereiche der Existenz – Atem, Energie, Präsenz.

Du liebst aus einem Zustand der Ganzheit heraus. Aus einer inneren Stille, die nichts sucht, sondern alles empfängt. Du bleibst mit dir selbst verbunden, auch wenn du den anderen berührst. Und das macht den Unterschied. Denn wenn du deinen eigenen Körper, deinen eigenen Atem, deine eigenen Wünsche wirklich spürst, ist der Grundstein für eine echte Begegnung gelegt.

Nur wer sich selbst wirklich spürt, kann auch den anderen wahrhaftig empfinden. Solange wir nicht in unserem eigenen Körper wohnen, bleiben Begegnungen leer – körperlich wie seelisch. – Daniel Odier

In der Sexualität zu sein bedeutet, dass du nichts sein, nichts erreichen oder nichts beweisen musst. Du kannst in deinem Bauch, in deinem Herzen, in deinem Becken präsent bleiben – selbst wenn die andere Person näher kommt. Besonders dann.

Denn nur wenn du in deinem eigenen Körper zu Hause bist, kannst du wirklich empfangen. Wirklich geben. Wirklich verschmelzen – ohne dich selbst zu verlieren.

Das ist das Geheimnis tantrischer Sexualität: Nicht mehr tun, sondern mehr sein. Nicht härter fühlen, sondern tiefer sinken. Nicht nach Ekstase suchen, sondern in jeder Berührung, jeder Schwingung, jedem flüsternden Verlangen, das in deinem Körper entsteht, präsent bleiben.

Und wenn zwei Menschen in dieser Du-sein-Liebe einander begegnen, geschieht Magie. Kein spektakulärer Höhepunkt, sondern eine Welle der verbundenen Präsenz, in der die Grenze zwischen Geben und Empfangen verschwimmt.

Tantrische Liebe ist eine Form der Meditation. Ein Raum, in dem du und dein Partner ganz ihr selbst sein könnt – atmend, fühlend, offen. Nicht um etwas zu erreichen, sondern um gemeinsam im Moment zu verschwinden, in der Berührung, im Fluss der Vitalität, die durch eure Körper tanzt.

Du musst nicht weit reisen, um dich selbst zu finden. Du musst dich nicht verbessern. Du kannst nach Hause kommen zu dem, was bereits da ist: deinem Atem, deinem Körper, deiner Vitalität.

Vielleicht wirst du bemerken, dass, wenn du wieder ganz bei dir bist, die Müdigkeit dem Frieden weicht. Dass deine Stimme klarer wird, weil sie aus deinem Zentrum kommt. Dass deine Liebe vollkommener fließt, weil sie nichts mehr beweisen muss, sondern einfach nur da sein muss.

Du musst nicht perfekt sein. Du musst nur du selbst sein. Das ist genug. Das ist alles.

Du sein statt da sein

Foto ©  deagreez stock.adobe.com


Nächste Veranstaltungen